Praktikums-Meilenstein »Eine IT-Strategie für das LEV«
In diesem Meilenstein sollen Sie eine IT-Strategie für eine hypothetische Behörde, das LEV, erarbeiten.
- Dauer
- Ca. 120 min
- Video(s) hierzu
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Worum geht es?
Für diesen Meilenstein schlüpfen Sie in die Rolle von IT-Strategieberatern. Sie sollen eine IT-Strategie für
einen behördlichen IT-Dienstleister, das LEV, ausarbeiten. Hierfür haben Sie mehrere Interviews mit Stakeholdern
geführt. Alle Informationen sind nachfolgend dargestellt.
Ihre Aufgabe
Seit einem Jahr ist eine neue Behördenleitung im Amt, die eine aufgeschlossene Haltung gegenüber strategischer Planung
hat. Der stellvertretende Behörden-Leiter ist der Ansicht, dass die Strategie in ihrer jetzigen Form zu
nichtssagend ist und einer Konkretisierung bedarf.
Sie sind beauftragt worden, eine Konkretisierung und Verdichtung der Strategie vorzunehmen. Das Projekt wird
vom stellvertretenden Behörden-Leiter persönlich betreut. Er möchte einen ungeschönten Bericht, was wirklich zu tun ist.
Sie haben ihn überzeugen können, einen Maximenprozess durchzuführen, um die passende Konkretisierung der
IT-Strategie zu finden. Ihr Fokus liegt dabei sowohl auf der konkreten Struktur der IT-Landschaft (was gilt es hier
zu verbessern) wie auch auf dem IT-Management (welche IT-Prozesse fehlen oder sind verbesserungswürdig).
Hierfür haben Sie mehrere Interviews mit Schlüssel-Mitarbeitern geführt. Die relevantesten Aussagen finden Sie unten.
Erstellen Sie auf der Basis dieser Aussagen einen Vorschlag für eine IT-Strategie in Form einer Präsentation für den
stellvertretenden Behörden-Leiter. Nutzen Sie, wenn das für Sie sinnvoll ist, die in der Veranstaltung vorgestellten
Werkzeuge.
Arbeitsschritte
- Positionieren Sie die LEV mit den Werkzeugen der Vorlesung. Begründen Sie Ihre Wahl jeweils in 1-2 Sätzen.
- Strategic Grid nach McFarlan. Wo steht das LEV heute, wo sollte es in Zukunft stehen?
- SWOT-Analyse
- Wählen Sie passende Form der Strategieformulierung und -Ableitung aus (mit kurzer Begründung, 1-2 Sätze jeweils)
- Welches “P” der Mintzberg’schen “5 P’s for Strategy” ?
- Welche Perspektive des SAM-Modells nach Henderson wählen Sie?
- Formulieren Sie höchstens 3 (Unternehmens-)Maximen für das LEV. Diese sollten sich aus Ihren Interviews ergeben.
- Machen Sie für jede Ihrer Unternehmens-Maximen den Test auf Trivialstrategie durch Umkehr.
- Leiten Sie aus jeder Unternehmensmaxime jeweils 1-3 (nicht mehr) IT-Maximen ab, die auf die (Unternehmens-)Maxime
einzahlen.
- Begründen Sie alle Maximen (sowohl Unternehmens- wie IT-Maximen) jeweils kurz.
- Wählen Sie den passenden ArchiMate-Viewpoint, und machen Sie eine ArchiMate-Modellierung der vorgeschlagenen
strategischen Ausrichtung des LEV.
Das Landesamt für Elektronische Verarbeitung (LEV)
In einem hypothetischen deutschen Bundesland gibt es zwei öffentliche IT-Dienstleister, das Landesamt für
Elektronische Verarbeitung (LEV) sowie das Zentrum für Digitaltechnologie (ZDT). Beide zusammen versorgen alle
Landesministerien und deren nachgeordnete Behörden mit IT.
Das LEV ist komplett für das Finanzministerium zuständig. Zusätzlich kümmert es sich um Teile der IT von Bildungs-
und Umweltministerium sowie deren nachgeordnete Behörden. Das ZDT ist komplett für alle anderen Ministerien zuständig,
sowie für den „anderen Teil“ von Bildungs- und Umweltministerium.
Die beiden Dienstleister stehen in unserem Bundesland in deutlicher Konkurrenz zueinander. Die Landespolitik hat schon
oft darüber nachgedacht, ob man wirklich zwei Dienstleister braucht. Beide müssen also immer wieder bemüht sein, ihre
jeweiligen Stärken als „Existenzgrundlage“ auszubauen und zu in der Außenwirkung zu betonen.
Die deutschen Bundesländer kooperieren punktuell miteinander, um gewisse Aufgaben in Länderhoheit mit gemeinsamen
IT-Lösungen zu bedienen. Beispiele:
- Pensionsverwaltung für Landesbedienstete
- Beihilfe (der Staat zahlt Beamten 50% ihrer Gesundheitskosten)
- Hochschul- und Bildungs-IT-Systeme
Sowohl das LEV wie auch das ZDT sind aufgefordert, im Länderverbund IT-Lösungen anzubieten. Hier stehen beide im
Wettbewerb miteinander, aber auch mit IT-Dienstleistern anderer Bundesländer.
Das LEV hat, typisch für öffentliche IT-Dienstleister, eine „mittlere“ Fertigungstiefe. Vieles macht es selbst,
mit eigenem Fachpersonal, für viele Aufgaben werden aber auch externe Dienstleister eingesetzt. Das Sourcing ist ein
recht bunter Mix aus internen Kräften, Freelancern und großen privatwirtschaftlichen IT-Anbietern. Verträge werden
manchmal als Zeit&Material, manchmal als Werkvertrag gemacht.
Eckdaten des Landesamts für Elektronische Verarbeitung (LEV)
Das Landesamt für Elektronische Verarbeitung (LEV) ist in einem deutschen Bundesland der IT-Dienstleister des
Landesfinanzministeriums, der Oberfinanzdirektionen und der Finanzämter. Zusätzlich übernimmt es Entwicklung,
Betrieb und Wartung von IT-Systemen für andere Landesbehörden. Es befindet sich dabei in Konkurrenz zu einem
weiteren landeseigenen IT-Dienstleister sowie verschiedener weiterer öffentlicher und privater Anbieter.
Darüber hinaus arbeitet das LEV im KONSENS-Verbund der deutschen Länder mit.
Hier werden IT-Systeme für solche Fachverfahren (öffentliche Verwaltungsprozesse, z.B. Lohnsteuereinzug,
Meldewesen etc.) entwickelt und betrieben, die alle Länder abdecken müssen. Ein Beispiel ist Beihilfe oder
die Pensionsverwaltung. Ein Land (in Form eines Landes-IT-Dienstleisters) übernimmt hier federführend die
Entwicklung und den Betrieb zur gemeinsamen Nutzung durch alle Länder.
Wie viele öffentliche IT-Dienstleister ist das LEV aus einem reinen Rechenzentrumsbetrieb hervorgegangen,
deckt aber mittlerweile den kompletten IT-Lebenszyklus für zahlreiche betreute Fachverfahren ab. Es hat
550 Beschäftigte an 2 Standorten im Land. IT-Leistungen werden zu etwa 35% durch interne Kräfte erbracht, den Rest
decken private IT-Dienstleister auf Auftragnehmer des LEV ab.
Das LEV ist eine nachgeordnete Behörde des Landesfinanzministeriums. Das bedeutet, das Ministerium kann per Erlass das
LEV zu bestimmten Handlungen zwingen. Bei Fachverfahren liegt die Prozesshoheit (fachliche Architektur) beim
Ministerium, die Informations- und Infrastrukturarchitektur beim LEV. Das LEV hat einen Beratungsauftrag in
IT-Themen gegenüber dem Ministerium.
Die bisher vorliegende Strategie
Für das LEV existiert eine generelle strategische Ausrichtung mitsamt Spezifikation der operativen Umsetzung.
Zusätzlich liegen allgemeine Ziele in Form einer Ziellandkarte vor. Deren strategischen Ziele erstrecken sich über
die fünf Themenfelder “Anwender und Benutzer”, “Kunde”, “Services”, “Prozesse”; sowie “Nachhaltigkeit”.
Die wesentlichen Elemente sind folgende:
- Bereitstellung von stabilen und performanten IT-Lösungen für Fachverfahren
- Reduzierung der Lösungskomplexität
- Erhöhung der Standardisierung
- Einsatz von aktuellen und den Marktstandards entsprechenden Technologien
- Fortlaufende Modernisierung bestehender Lösungen
- Erschließung neuer Anwendungsbereiche des IT-Einsatzes
- Bedarfsgerechte Qualifizierung der Mitarbeiter
- Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs
Allerdings wurden aus diesen allgemeinen Entwicklungszielen noch keine konkrete IT-Strategie abgeleitet.
Interview-Ergebnisse
Stellvertretender LEV-Leiter
“Es ist keineswegs so, dass ein öffentlicher IT-Dienstleister sich nicht im Wettbewerb befindet. Im Gegenteil,
wir sehen uns einem sehr harten Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Unser landeseigener Konkurrent würde am
liebsten alle Landesbehörden bedienen – und wir natürlich auch.
Auch im KONSENS-Bereich könnten wir ganz viele Aufgaben übernehmen und so unsere Daseinsberechtigung sichern.
Das scheitert aber oft an – tja, woran? Wenn ich meine Leute frage, höre ich immer nur: Geht nicht!
Ist zu viel Änderungsaufwand an existierenden Systemen! Dazu fehlen mir die Leute!
Es gibt immer wieder auch Bestrebungen, die öffentlichen IT-Dienstleister ganz abzuschaffen und die
IT-Dienstleistungen komplett als Gewerk einzukaufen. Ganz zu schweigen von den exotischen Vorschlägen,
alles zu dezentralisieren oder komplett in einer großen bundesweiten Behörde zusammenzufassen.
Wir müssen immer wieder beweisen, dass wir als öffentlicher Dienstleister einen Mehrwert gegenüber einer
rein privatwirtschaftlichen Vergabe von IT-Dienstleistungen bieten. Wir müssen mit den knappen Mitteln und
Personalressourcen gut wirtschaften. Wir müssen auf künftige Mittelkürzungen vorbereitet sein.
Unsere Kunden – das Ministerium, die KONSENS-Partner – müssen den Eindruck haben, dass es mit uns besser
aufgestellt ist als ohne uns. Wir müssen wegkommen davon, nur die IT-Werkbank des Ministeriums zu sein.
Wir sollten strategischer Partner sein.”
Ein Abteilungsleiter im Finanzministerium (Kunde des LEV)
“Die Qualität der IT-Projekte beim LEV ist verbesserungsfähig. Viele Projekte kommen sechs Monate zu spät,
und haben dann noch Fehler. Ein wirklich lauffähiges Verfahren bekommt man ungefähr zwei Jahre nach
ursprünglichem Termin.
Und diese Unflexibilität! Auch einfache Änderungswünsche dauern drei Monate.
Leider ist es politisch so gewollt, dass alle unsere IT-Leistungen vom LEV kommen. Ansonsten hätte ich schon
lange IBM/Accenture/Capgemini/… angerufen und ließe meine Verfahren nur von denen entwickeln und warten.
Bei denen läuft auch nicht alles rund, aber die kann ich wenigstens verklagen, wenn etwas schiefgeht.”
Der Leiter der Projektsteuerung beim LEV
“Auslöser eines Projekts ist üblicherweise ein Erlass des Ministeriums, kann aber auch aus dem eigenen Haus kommen,
wenn z.B. der Vertrag mit einem technischen Zulieferer ausläuft und daher eine Änderung in der Infrastruktur nötig wird.
In der Vergangenheit wurden oft Projektkosten und –Aufwände vergessen. Das führte dazu, dass Projekte ihre
Fertigstellung bis zu drei Jahren verspäteten oder sogar komplett fehlschlugen. Das Ministerium hat teilweise nur
noch über uns geflucht.
Dem wurde durch Einführung einer zentralen Projektsteuerung begegnet. Jetzt gibt es Checklisten, und am 10.
eines jeden Monats werden Statusberichte mit einer Kategorisierung der Projekte nach “rot – gelb – grün” erstellt.
Aber leider sind das oft Schätzangaben der Projektleiter. Nachprüfen kann man das in diesen Fällen nicht.
Pflichtenhefte gibt es in jedem Projekt, allerdings mit wechselnder Qualität. Hinsichtlich der Frage der
Zielerreichung gibt es einen Abschlussbericht, jedoch keine Kontrolle des laufenden Verfahrens.
Eine ausführliche Nutzenprüfung findet nicht statt.”
Eine Kundenbetreuerin für Fachverfahren im den Finanzämtern
“Wir hatten schon wieder zwei ungeplante Downtimes diesen Monat. Angeblich waren das Wartungsfenster, die auch
kommuniziert waren. Vielleicht war das so, vielleicht hat auch einfach jemand falsch gestöpselt.
Aber jedenfalls gab es keine Kommunikation zu mir und damit auch nicht zu den Ämtern. Die Sachbearbeiter konnten
drei Stunden nichts machen. Bei mir lief das Telefon heiß.”
Ein Dezernent in der Software-Entwicklung
“In der IT-Landschaft fehlt z.B. die Option “Cloud-Dienst”. Mit ihr könnte die Verfügbarkeit von Diensten
gestärkt und deren Administration vereinfacht werden. Der Übergang in den Betrieb ist einfach unfassbar schlecht.
Alles passiert von Hand, es gibt kaum Automatisierung. Am Ende weiß eigentlich niemand, welche Softwareversion
da gerade deployed wurde.
Unser Testprozess ist genauso händisch und wenig automatisiert. Aber was sollen wir auch testen? Die Lastenhefte
des Ministeriums sind auch grottenschlecht und widersprüchlich. Hier fehlt ein gemeinsamer methodischer Ansatz.
Unsere Projekte werden wegen der zentralen Projektsteuerung jetzt nicht mehr so oft verspätet fertig. Aber die
Qualität ist teilweise richtig schlecht. Bananensoftware – reift beim Anwender.”
Der Abteilungsleiter Software-Entwicklung
“Wir hatten uns um die Entwicklung des Verfahrens XYZ im KONSENS-Länderverbund beworben. Haben wir nicht
bekommen, weil wir eine viel zu lange Rüst- und Entwicklungszeit kalkuliert haben. Schade. Das Projekt
hätte mir fünf neue Planstellen für gute neue Leute gebracht.”
Ein Projektleiter eines Softwareprojekts
“Die Anforderungen des Ministeriums sind der reine Witz. Widersprüchlich und unvollständig. Da weiß die
rechte Hand nicht, was die linke tut.
Dann dauert die Entwicklung eben auch mal länger. Nein, an uns liegt das nicht. Wir müssen ja mit den Mitteln
auskommen, die wir haben.”
Ein Architekt
“Insgesamt besteht der Wunsch nach der Definition einer übergreifenden Zielarchitektur und ihrer Erfassung
in einem EAM-Tool. Dies sollte in Form einer Ableitung “Geschäftsarchitektur zu Applikationsarchitektur zu
Technologie- und Infrastruktur” geschehen. In unseren Kundenbehörden laufen oft fast gleiche Prozesse
nebeneinander und parallel. Diese Prozesse müssten nur einmal harmonisiert werden.
Architekturrelevantes Wissen ist heute sehr verteilt verfügbar und vielfach nicht dokumentiert, sondern nur “in Köpfen”
vorhanden, eine übergreifende Dokumentation wäre jedoch sehr hilfreich. Es fehlen z.B. Sichten, die jederzeit leicht
zugreifbar sind. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Nach einem Feueralarm mussten sehr viele Systeme
auf einmal hochgefahren werden. Es fehlte aber eine formale Dokumentation der Abhängigkeiten, so dass Detektivarbeit
nötig war. Im obigen Feueralarmfall gab es zwar einen LEV-weiten Gesamtdatenflussplan, dieser war jedoch
veraltet und daher für die Aufgabenstellung keine Hilfe.
Ein weiteres Beispiel für eine hilfreiche Sicht, die zurzeit nicht sofort verfügbar ist: Welche IT-Systeme
sind für einen essentiellen Geschäftsprozess betroffen? Beispiel: “Steuererklärung trifft ein, wird bearbeitet,
Auszahlung erfolgt”. Hier sollte eine Bebauungsplanung mit Priorisierung vorliegen.
Wir brauchen eine Entwicklungsrichtlinie, sodass z.B. ein ‘Wildwuchs’ von verwendeten Tool Sets verhindert wird.
Dies geschieht häufig durch eine nicht entsprechend gesteuerte Entwicklungsarbeit von Externen, die ihr
Lieblingsframework mitbringen und einsetzen.”
Ein Abteilungsleiter im Bereich IT-Infrastruktur
“Nachholbedarf besteht eigentlich überall. Die Architektur von IT-Systemen wurde in der Vergangen so gut wie nie
dediziert geplant, sondern entstand eher als “Abfallprodukt”. Ggfs. gibt es glückliche oder zufällige Umstände,
so dass z.B. eine Wiederverwertung einer Komponente stattfindet.
Hier gibt es viel Wildwuchs. Der ist auch richtig teuer. Netzplanung ist häufig “Kristallkugel-Leserei”, z.B. die
Frage, wie schnell die einzelnen Netze sein müssen. Strategische Vorgaben, etwa zur Client-Landschaft, fehlen:
Citrix, Web-Clients, PC mit Rich Clients? Ein 3-Jahres-Plan wäre hier hilfreich. Im Moment muss man immer
auf das schlimmste Szenario eingestellt sein.
Es gibt auch keine Definition, welche Fachverfahren welche Verfügbarkeit haben sollten. Das Ministerium ist
immer schnell bei der Hand mit der Forderung nach ‘24/7-Verfügbarkeit’. Es gibt keine aufeinander abgestimmten Wartungsfenster.”
Ein Dezernent im Bereich Betrieb
“Architektur von IT-Systemen wird eher ‘lokal’ betrieben, nicht nach einem übergreifenden Plan. Für die
Produktionssteuerung stellt z.B. die Vielzahl von Betriebssystemen (Windows, Linux, Apple, Unix, …)
eine Arbeitserschwernis und einen Kostentreiber dar.
Entscheidungen werden viel zu oft von Vorgesetzten getroffen, anstatt von Fachleuten. Auch das
Finanzministerium mischt sich ständig in technische Belange ein.”